Die widerlegte Dominanztheorie
Die Frage der Dominanz gehört zu den umstrittensten Themen, wenn es um das Verhalten, die Erziehung und die Ausbildung von Hunden geht. Dabei zeichnen sich die Diskussionen oft durch Missverständnisse und Verwirrung in der Begriffsdefinition aus. Die Dominanzdiskussion nimmt als Grundlage die Rudelbildung von Wolfsfamilien in freilebender Natur. D.h. es werden keine Hierarchien und kein Rudelverhalten mit Artgenossen ausserhalb der Familie gezeigt. Ein Grund für die Rudelbildung bei Wölfen ist die Anpassung an die Jagd auf grosse Beutetiere, die ein Wolf allein nie erlegen könnte.
Zwischenartliche Dominanz ist die Grundlage vieler Bücher und Hundetrainer, die Hundebesitzern raten, ihre Hunde zu dominieren. Konkrete Studien, empirische Beweise als Antwort auf die Frage, ob ein Hund tatsächlich seinen Menschen als Rudelführer sieht, fehlen. Wir wissen derzeit nur sehr wenig darüber, wie Dominanzbeziehungen zwischen Hunden und Menschen gebildet werden - es ist allerdings davon auszugehen, dass die Hunde jung lernen, Menschen zu folgen, so wie sie lernen, ihrer Mutter zu folgen. Fest steht klar, dass Menschen ihren Hunden über positive Verstärkung beibringen können, erwünschtes Verhalten zu zeigen. Es bleibt deshalb unklar und fragwürdig, weshalb die Dominanztheorie erforderlich sein sollte. (Quelle: Die Dominanztheorie bei Hunden - eine wissenschaftliche Betrachtung von James O’Heare, 2005)
Heute wissen wir, dass die Dominanztheorie auf Untersuchungen an Wölfen in Gefangenschaft basiert und unserem Verhältnis zu den Hunden stark zugesetzt hat. Alle Aussagen über dominantes Verhalten sind gänzlich widerlegt, Hunde bilden keine Rangordnung mit dem Menschen. Die Auswirkungen sind dennoch weiterhin spürbar, wenn etwa dazu geraten wird, sich als Alphatier zu behaupten, um Rangordnungsprobleme zu klären. Da wurde und wird zu Alpharollen, zurück zum Wolf, körperlichem Bedrängen, Wasserflaschen, Wurf-Discs, Genickschütteln, Hundenasen in ihre Hinterlassenschaften zu tauchen, bis zu absoluter körperlicher Härte geraten, damit der Hund weiß, wo er hingehört, nämlich an die letzte Stelle im Rudel. Der Halter habe seine Dominanz gegenüber dem Vierbeiner durchzusetzen - so lautete die Pauschalerklärung früher beim Hundetrainer. Leider werden solche ‚Weisheiten‘ von manchen Menschen heute noch verbreitet und das, obwohl David Mech, der ursprünglich die Dominanztheorie vertrat, sich selber ausdrücklich nach weiteren Untersuchungen davon distanzierte und die Verlage angeschrieben hat, sein Buch endlich aus dem Sortiment zu nehmen, da die Inhalte nicht richtig seien. Fälschlicherweise wird auch dann noch jener Hund als dominant bezeichnet, der alles andere als das ist: wenn er z.B. unsicher ist, unter Stress steht oder Aggression zeigt. Sehr bitter, wenn diese Verhaltensweisen noch immer mit Härte bekämpft werden, weil der Mythos von der Dominanz sich so hartnäckig hält. Noch trauriger, wenn der Hund erst durch den Menschen in seine unglückliche Verteidigungsrolle gebracht wurde und durch unerwünschte Verhaltensweisen wie Bellen, Leinenziehen, Aggression etc. Erziehungsfehler und Unwissen des Menschen zum Ausdruck bringen muss.
Trotz der allgemeinen Abkehr von der Theorie halten sich immer noch viele Unwahrheiten und Grausamkeiten, über denen der Begriff ‚Dominanz‘ schwebt, hartnäckig. Als Beispiel lassen sich hier aufführen, dass der Mensch als erstes aus der Türe gehen, das Spiel immer zuerst beenden, stets zuerst essen und den Hund als Erziehungsmassnahme stundenlang ignorieren solle. Heute werden solche sogenannten aversiven Trainingsmethoden immer öfter als tierschutzrelevant entlarvt und Beziehungsarbeit und positive Verstärkung in ihrer Bedeutsamkeit hervorgehoben.